Hey, Hi und Hallo.

361° BLOGGT RICHTIG AB.

Comic Sans kann nichts dafür…

Comic Sans kann nichts dafür…

28.01.2014 / geschrieben von Christian
in Gestaltung, Meinung

28.01.2014 / geschrieben von Christian / in Gestaltung, Meinung

Comic Sans MS ist die wohl meist gehasste Schrift überhaupt. Unter Designern gilt sie als hässlichste Schriftart aller Zeiten. Auf Twitter belegt sie Platz zwei mit der Menge an negativen Kommentaren, gleich hinter Fluggesellschaften, noch vor Justin Bieber. Hass-Seiten wie „Ban Comic Sans“ oder „Comic Sans must die“ demonstrieren auf eindrucksvolle Weise die Kreativität mit der Comic Sans Gegner ihre Antipathie ins World Wide Web tragen.

Doch so viele Feinde diese Schrift auch haben mag, findet sie auf der anderen Seite mindestens so viele Freunde. Den gemeinen Comic Sans Verwender trifft man zumeist in gestaltungsfernen Schichten an. Es ist der nette Nachbar von nebenan. Das mittelständische Unternehmen mit der selbstgebastelten Firmen Website. Die Physikerin welche die Entdeckung des Higgs-Boson komplett in Comic Sans präsentierte. Doch woher kommt es, dass eine einzige Schriftart so polarisiert?

Um die Gründe für die Existenz von Comic Sans nachzuvollziehen, müssen wir uns in das Jahr 1994 begeben. Damals erhielt Vincent Connare während seiner Tätigkeit für Microsoft den Auftrag eine Schriftart für das Software Programm Microsoft Bob zu entwickeln. Ein kleiner Comichund sollte die Zielgruppe – unerfahrene Benutzer und Kinder – mit Sprechblasen durch das System führen. Also entwickelte Connare die handschriftähnliche, gut leserliche Schriftart Comic Sans MS, angelehnt an die Comicbücher die er in seinem Büro liegen hatte. Verwendung in Microsoft Bob fand sie jedoch nie, da man feststellte, dass der Text für die Sprechblasen zu lang war. Stattdessen fand sie als Standartschrift ihren Weg in das Windows ’95 System und war nun jedem zugänglich, der ein Windows-Rechner besaß. Hier begann die Tragödie.

Comic Sans auf einem Gefahrenschild

Aimee Rivers, http://www.flickr.com/people/sermoa/

Durch ihr „nettes“ Aussehen und den comicartigen Stil lockte sie viele Fans an. Jeder, der eine Einladung zu verschicken hatte, einen Aushang machen wollte oder nur einen Brief schrieb, bediente sich dieser freundlichen Schrift. Die Verbreitung war immens. Ähnlich wie bei „Last Christmas“, das alljährlich zur Adventszeit aus dem Radio schallt, und nervt, fing auch Comic Sans langsam aber sicher an zu nerven. Doch ist es wirklich nur die Überverwendung? Wenn es allein das ständige Auftauchen von Comic Sans wäre, warum empfinden wir Helvetica dann nicht als gleichermaßen nervtötend?

Im Fall von Comic Sans ist es weit mehr als die pure Omnipräsenz. Im Gegensatz zu Helvetica ist Comic Sans mit seinen kindlich anmutenden Buchstaben natürlich um einiges charakteristischer als die eher sachlich erscheinende Helvetica und fällt deshalb mehr ins Auge. Doch darüber hinaus fallen weitere Makel auf, die dieser Schrift ihren üblen Ruf verschaffen. Das extrem schlechte Kerning beispielsweise. Die Buchstaben beziehen sich mit ihren Abständen nicht aufeinander und stehen eher beliebig und etwas verlegen nebeneinander. Auf Printprodukten fällt das besonders unangenehm auf und sorgt für ein unruhiges Gesamtbild. Allerdings kann Comic Sans nichts dafür. Sie war ja ursprünglich für den Bildschirm gedacht. Im Vergleich zu anderen Schiften wie Garamond etwa, die nicht speziell für den Bildschirm entwickelt wurde, schneidet sie sogar deutlich besser in Sachen Leserlichkeit ab. Legastheniker und Grundschulkinder profitieren zudem deutlich von der eigenständigen Form der Buchstaben.

 

Comic Sans auf einem Polizeiauto

Ben Ostrowsky, http://www.flickr.com/people/sylvar/

Das Problem mit Comic Sans zeigt sich am anderen Ende. Beim Verwender. Zu Zeiten von Windows ’95 war der Umgang mit Schrift für den nichtgestaltenden Durchschnittmenschen völliges Neuland. Woher sollte man also wissen, dass Comic Sans nicht die Beste Wahl für die eigene Visitenkarte war?
Doch im Grunde genommen verhält sich Schrift wie Mode. Genauso wie Kleider Leute machen, trägt auch die gewählte Schriftart dazu bei, wie der Leser den Text wahrnimmt. Eine Einladung zu einem Kindergeburtstag in Times New Roman wäre ebenso fehl am Platz wie die Speisekarte eines 5-Sterne-Restaurants in Comic Sans. Comic Sans, falsch angewendet, wirkt wie ein 40-jähriger Firmenboss im Strampelanzug.

Ob man nun für sich entscheidet Comic Sans zu lieben oder zu hassen, die Schriftart selbst kann nichts dafür. Sie ist nur zur falschen Zeit am falschen Ort.

Oder um es mit dem Worten von Vincent Connare auszudrücken:  „If you love it you don’t know much about typography, If you hate it you don’t know anything about typography either and you should get another hobby.“

Update:

Für alle Fans der Comic Sans gibt es tolle Nachrichten: Zuwachs in der Font-Family. Der Designer Craig Rozynski hat die Comic Sans Neue und die Comic Sans Neue Angular entwickelt. Diese gibt es zum kostenlosen Download hier. Ein Muss für jeden Comic-Sans-Liebhaber und ein Anstoß für die Verachter, ihr noch eine Chance zu geben. Denn welche Schrift wäre besser geeignet für passiv-aggressive Notizzettel an Kollegen und Nachbarn?
(Craig Rozynski: „It’s perfect as a display face, for marking up comments, and writing passive aggressive office memos.“)

Über den, der's geschrieben hat:

Christian mag gute Gestaltung, schöne Fotografie und echte Schallplatten. Auf der Suche nach dem Guten und Schönen kontaktet und konzeptet er für 361° Digital.

Ein Kommentar